München. - Wozu braucht es eigentlich noch Kinofestivals in Zeiten von VR und Netflix? Filmfestleiterin Diana Iljine sagt: „Gerade deswegen und zwar unter dem Aspekt der Begegnung und des Diskurses mit den Zuschauern“. Das Filmfest solle ein Bürgerfest werden.
Das 36. Filmfest München präsentiert 220 Filme, davon 133 Deutschland- und 43 Weltpremieren, 30 Events mit Filmemachern und Werkstattveranstaltungen.
[caption id="attachment_15917" align="alignleft" width="196"] Diana Iljine, Leiterin Filmfest München. Foto: ©Sonja Calvert[/caption]An Glamour mangelt es nicht. Die zweifache Oscar-Preisträgerin Dame Emma Thompson wird mit dem CineMerit Award ausgezeichnet, ebenso der amerikanische Filmemacher und Mitbegründer von Monty Python Terry Gilliam, dessen „The Man Who Killed Don Quixote“ zu sehen ist. Der jeweils mit 50.000 Euro dotierte Preis wird von Arri und Osram gestiftet.
[caption id="attachment_15920" align="aligncenter" width="900"] Auf der Suche nach Ingmar Bergman Regie: Margarethe von Trotta, Felix Moeller, Bettina Böhler[/caption]Zum 100. Geburtstag von Ingmar Bergman macht die deutsche Regisseurin Margarethe von Trotta sich zu den Orten und Personen auf, die mit dem Werk Bergmans verbunden sind. Es beginnt an einem Strand, mit der archaischen Wucht des Siebenten Siegels, führt von Paris nach Oslo zu Liv Ullmann; schließlich nach München, wo Bergman Exil auf der Flucht vor den schwedischen Finanzbehörden fand, am Residenztheater inszenierte und zwei Filme drehte: Aus dem Leben der Marionetten und Das Schlangenei. Die Reise führt auch in Bergmans persönliche Vergangenheit, zu seinen Söhnen etwa und hinein in das Leben eines genial getriebenen Diktators.
Wichtiges Thema des Filmfests ist – natürlich – die Beziehung zwischen Frauen und Männern, „der weibliche Blick auf Beziehungen und politische Ereignisse“, so Diana iljine. München sei dafür eine ideale Plattform. (Bei der Jury ist die Gleichstellung der Geschlechter mit sieben Frauen und acht Männern beinahe erreicht.)
[caption id="attachment_15915" align="aligncenter" width="900"] Años luz (Light years). Argentinien, Brasilien, Spanien 2018. Regie: Manuel Abramovich[/caption]Sie sei Lichtjahre davon entfernt, selbst eine Hauptfigur in einem Film zu sein, antwortete Lucrecia Martel ihrem Kollegen Manuel Abramovich auf seine Frage, ob er die Filmemacherin mit der Kamera bei den Dreharbeiten zu ihrem aktuellen Film ZAMA begleiten dürfe. Martel willigte dann doch ein. So entstand die Dokumentation Años Luz, die einen wunderbaren Eindruck in die Arbeit der sehr feinfühligen und ruhigen Regisseurin gibt. Man beobachtet Martel dabei, wie sie sorgfältig Requisiten bespricht und auswählt, das Maskenbild begutachtet und am Set intensiv mit den Schauspielern arbeitet. Die Argentinierin hat genaue Vorstellungen und arbeitet hoch konzentriert an ihrer Vision — stets mit der für sie charakteristischen Katzenaugen-Brille und Zigarre in der Hand.
Aufgeführt werden die neuesten Filme prominenter Regisseurinnen wie Jennifer Fox (Drama The Tale), Alice Rohrwacher (Glücklich wie Lazzaro), Eva Trobisch (Alles ist gut). Bei den Retrospektiven erwarten die Besucherinnen fünf Filme von Lucrecia Martel, einer der bedeutendsten Vertreterinnen des argentinischen Films und neue Hoffnung des lateinamerikanischen Kinos. In München stellt sie ihr neues Werk „Zama“ vor und beantwortet in einer Meisterklasse der Hochschule für Film und Fernsehen Fragen des Publikums.
Die Bandbreite der Themen spiegelt das aktuelle Weltgeschehen wider und die Konsequenzen aus der ständigen Überwachung – incl. der Frage, wer denn nun der gefährlichere Feind sei: Big Brother oder Little Neighbor oder gar das selbstinszenierte Ich in den sozialen Medien? Zu nennen ist hier u.a. „Dragonfly Eyes“ von Bing Xu, ein Film der ausschließlich aus Aufnahmen von Überwachungskameras besteht.
Dass die Grenzen von der Überwachung zum Social Horror häufig fließend ist, veranschaulichen u.a. die Vertreter einer starken skandinavischen Genre-Fraktion mit „Border“ (Ali Abbasi), „The Guilty“ (Gustav Möller) und „Lake Over Fire“ (Joern Utkilen).
[caption id="attachment_15922" align="aligncenter" width="900"] Asche ist reines Weiss. (Ash is purest white). China, Frankreich 2018. Regie: Zhang-Ke Jia[/caption]Auch in der Unterwelt gilt, für manche jedenfalls, ein Ehrenkodex. Qiao liebt den Gangster Bin und mischt sich in einen Konflikt ein, um sein Leben zu retten. Dafür verbringt sie fünf Jahre im Gefängnis. Nach ihrer Entlassung macht sie sich auf die Suche nach dem Geliebten. Doch Menschen ändern sich und das Land, in dem sie ihre Tage und Nächte zubringen, erst recht. Eine Romanze, ein Gangsterfilm, melodramatisch und poppig zugleich. Darsteller: Tao Zhao, Fan Liao, Zheng Xu, Casper Liang
Wesentlich beschwingter ist ein weiteres Schwerpunktthema, die Musik nämlich. Höhepunkte bilden das Eröffnungsmusical „Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm“ (Regie: Joachim A.Lang), die Dokumentation „It Must Schwing – The Blue Note Story“ und die Indie-Perle „The Song of Sway Lake“, worin eine wertvolle ererbte Schallplatte für Zwist sorgt.
Hochkarätig auch die zehn Filme, die um den Wettbewerb CineMasters antreten, so „The Man Ho Killed Don Quixote“, an dem Terry Gilliam 20 Jahre lang gearbeitet hat, „Foxtrot“ von Samuel Maoz, „Shoplifters“ von Hirokazu Kore-eda, „The Tale“ von Jennifer Fox, „Zama“ von Lucrecia Martel.
In der Reihe „Neues Deutsches Fernsehen“ sind 16 Spielfilme zu sehen, u.a. „Bier Royal“ von Christiane Balthasar mit Gisela Schneeberger als eine Art bayerisches Denver-Biest, „Der Grosse Rudolph“ von Alexander Adolph, der das Leben des Modezars Rudolph Mooshammer seziert, „Rufmord“ von Viviane Andereggen. Die Filme fragen letztlich alle danach, was uns Menschen ausmacht: Familie, Heimat, Angst vor dem Tod? Und sie zeigen, wie dünn das Eis ist, auf dem wir uns vermeintlich sicher bewegen.
[caption id="attachment_15916" align="aligncenter" width="900"] Frankreich 2017. Der kleine Fuchs und seine Freunde - das große Kinoabenteuer. Regie: Benjamin Renner, Patrick Imbert.rt[/caption]Was auf dem Land alles so passieren kann: Ein Fuchs zieht drei Küken auf, weil diese glauben, er sei ihre Mama. Schwein und Hase springen für den Storch ein und übernehmen die Babylieferung. Dann ist da noch der Erpel, der Weihnachtsmann spielt. Dieses Verwirrspiel sorgt für viel Komik und erstaunliche neue Freundschaften unter den Tieren. FSK 0, empfohlen ab 6 Jahren.
Ein besonders spannendes Programm erwartet die Kinobegeisterten von Morgen. Das Kinderfilmfest nimmt dubiose Gauner, Kidnapping, mutige Mädchen im Alleingang, gestohlene Nüsse und Füchse mit Identitätsproblem aufs Korn. Beobachtet werden sie von den Kinderreportern des Instituts für Medienpädagogik in Forschung und Praxis jff.
Autorin: Doris LoschFilmfest München, 29. Juni 2018 – 7. Juli 2018.
Weitere Informationen: www.filmfest-muenchen.de www. Filmfest-muenchen.de/kinderfilmfest
Titelbild: Plakat Filmfest München. und Plakat Kinderfilmfest Müncchn