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dvb: Im Wettlauf mit dem Säurefraß

21.10.2012

Vor gut einem Jahr ist immerhin eine zentrale Koordinierungsstelle in Berlin eingerichtet worden. Dort hofft man, Politik und Öffentlichkeit für das dramatische Problem sensibilisieren zu können.

Der Krieg war gerade vorbei, da gab es Ende Mai 1945 im kleinen Rathaus der Stadt Pfullingen eine enorme Explosion. Waffen und Munitionsreste waren dort gesammelt worden, um sie zu vernichten. Doch eine Unachtsamkeit hatte sie entzündet. Wie es heißt, könnte ein weggeworfener Zigarettenrest das Unglück verursacht haben. Das Rathaus stand in Flammen. Vier Angehörige der französischen Streitkräfte kamen ums Leben. Auch nach dem Ende der Kämpfe sollte es noch weitere Opfer geben.

Der materielle Schaden traf zudem das Stadtarchiv der kleinen Stadt südlich von Stuttgart. „Der Brand hat eine große Lücke in unsere Bestände gerissen, die dort lagerten“, sagt Stefan Spiller, der das Archiv seit 2008 leitet. „Nicht nur die Explosion selbst, auch die anschließenden Löscharbeiten haben Schäden verursacht.“ In den Jahren darauf kam Schimmelbildung hinzu. Denn an eine ordentliche Restaurierung der alten Schätze war lange Zeit aus Kostengründen kaum zu denken.

66 Jahre sollte es dauern, bis die Rettung der alten Papiere einen großen Schritt machte. Insgesamt rund 60 Archivalien wurden restauriert und stehen jetzt wieder zur Nutzung bereit. Es sind Gemeinderatsprotokolle, Steuerbücher aus dem 17. Jahrhundert und weitere bedeutende Quellengruppen. „Möglich wurde das durch eine Förderung der Koordinierungsstelle für die Erhaltung des schriftlichen Kulturguts“, sagt Spiller. „2011 hat die Berliner Einrichtung dieses Vorhaben gefördert.“

Säure zerstört die kostbaren Werke
Das Pfullinger Stadtarchiv ist nicht das einzige, das mit solchen Problemen zu kämpfen hat. Brandschäden oder andere Umwelteinflüsse sowie die Nutzung historischer Bestände machen diesen überall im Land mächtig zu schaffen. Der größte Feind der Bücher steckt aber in ihnen selbst. Es ist die Säure im Papier, die die alten Bestände der Bibliotheken unumkehrbar in Mitleidenschaft zieht. Sie zersetzt das Material von innen heraus. Gut 80 Millionen Bücher aus säurehaltigem Papier sind davon in Deutschland betroffen.

„Wir müssen dringend handeln, um unsere kostbaren historischen Bestände vor dem Verfall zu retten“, sagt Dr. Ursula Hartwieg. Sie leitet die vor gut einem Jahr gegründete Koordinierungsstelle für die Erhaltung des schriftlichen Kulturguts (KEK). „Mit zehn Millionen Euro jährlich könnten wir die drängendsten Aufgaben bewältigen“, sagt sie. „Die Massenentsäuerung von Büchern ist extrem teuer.“ Doch von dieser Summe kann momentan keine Rede sein. Die Koordinierungsstelle hat einen jährlichen Etat von 600.000 Euro. Er wird vom Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien mit 500.000 Euro sowie der Kulturstiftung der Länder mit 100.000 Euro bereitgestellt.

Immerhin gilt die Einrichtung der Koordinierungsstelle als ein bedeutender Schritt für den Schutz der alten Bücher, Handschriften und Karten in Bibliotheken und Archiven. Zu den Hauptaufgaben der KEK zählen nämlich die Erstellung eines nationalen Bestandserhaltungskonzepts, die Evaluation bereits vorhandener Erkenntnisse sowie die Vernetzung bestehender Institutionen. „Wir unterstützen durch die Förderung von Modellprojekten auch die Forschung“, sagt Hartwieg. Allein im vergangenen Jahr wurden 40 Projekte gefördert. Dabei wolle man insbesondere mit regionalen Einrichtungen zusammenarbeiten. „Dort liegen viele Schätze, die es sehr schwer haben, Aufmerksamkeit zu erhalten“, sagt die Frau, die sich seit ihrem Anglistikstudium in den 80er Jahren mit historischen Buchbeständen beschäftigt.
(Autor: dbv, Deutscher Bibiotheksverband; Text gekürzt)

Weitere Informationen: Koordinierungsstelle für die Erhaltung des schriftlichen Kulturguts (KEK)
Leitung Dr. Ursula Hartwieg

www.treffpunkt-bibliothek.de
www.bibliotheksverband.de
(Der Link wurde am 21.10.2012 getestet.)

Foto: Dr. Ursula Hartwieg; Restauration. Fotos: Leo Pompinon