Brikada - Magazin für Frauen

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Brigitte Karch: Kein-zwei-Damen-Staat

03.06.2010

Na klar, was haben Illussionen mit harter Realpolitik zu tun! Richtig! Meistens nichts! Und doch ... Stellen Sie sich mal vor, die wie aus dem Hut gezauberte Ursula von der Leyen, seit November 2009 amtierende Bundesministerien für Arbeit und Soziales, wäre von der Regierungskoalition als Kandidatin für den urplötzlich vakanten Posten des Bundespräsidenten aufgestellt worden. Es sah ja ohnehin für wenige Stunden so aus, als würde sie das Rennen unter weiteren – wohlgemerkt männlichen – Kandidaten für sich entscheiden. Die Mutter von sieben Kindern lachte freudig-verschmitzt mit einem Schuss Siegesgewissheit in die Fernsehkameras – dennoch wollte sie keineswegs eine Entscheidung vorweg nehmen. Sie war viel zu klug, um sich einem siegessicheren Taumel hinzugeben. Vielleicht bewahrte sie das Wissen davor, wie wankelmütig und unberechenbar politische Vorentscheidungen sein können und sich im letzten Augenblick in ein enttäuschendes "Nein, nun doch nicht" zu wandeln vermögen.

Jedenfalls veranlasste mich dieses verdeckte Siegerinnen-Lächeln von Frau von der Leyen zum "vorsichtshalber schon mal schreiben", ihre Berufsbiografie zu sichten, Notizen zu machen und mich mit ihren zukünftigen Aufgaben als "höchste Frau im Staat" zu befassen.

Ursula von der Leyen ist nun doch nicht als Kandidatin zur Wahl des Bundespräsidenten aufgestellt worden – trotz vehementer Fürsprache der Bundeskanzlerin Angela Merkel. Wenn Frau von der Leyen es dennoch geschafft hätte, hätte ich über das auf sie zukommende Aufgabenbereich geschrieben. Etwa so: Im Grundgesetz heißt es, dass die Aufgaben der Bundespräsidentin "über das verfassungsrechtlich Normierte weit hinaus" gehen. Sie wäre fortan als "Erste Repräsentantin des
Staates", "Integrationsfigur" und "Oberste Bundesnotarin" bezeichnet worden. Zu ihren Aufgaben würden unter anderem zählen die "Staatspflege", will heißen die Bundespräsidentin "steht über den Parteien und wirkt in Reden, Ansprachen, Gesprächen, durch Schirmherrschaften und andere Initiativen integrierend, moderierend und motivierend." Hinzu wären amtliche Funktionen wie Regierungsbildung, Ernennungen, Entlassungen und Berufungen gekommen. Aber auch Repräsentationspflichten, die Übernahme von Schirmherrschaften und Ansprachen, die Anordnung von Staatsakten und Staatsbegräbnissen, Prüfung von Petitionen und Gnadenerlassen bis hin zu Staatsbesuchen im Ausland würden zu ihren Aufgaben gezählt haben.

Alles in allem wäre es sicher eine ungemein reizvolle, aber auch sehr verantwortungsvolle Aufgabe, die da auf Frau von der Leyen zugekommen wäre. Menschenkenntnis, sensibles Einfühlungsvermögen, in Verbindung mit einer gehörigen Portion Durchsetzungsvermögen, strenge Disziplin, bewahrendes Werteverständis und nicht zuletzt auch eine gehörige Portion mütterlich-beschützende Attitüde würde sie zur Bewältigung der riesenhaften Herausforderungen gewissermaßen von Haus aus mitbringen. An politischer Bildung, Elequenz und klugem diplomatischen Umgang mit Menschen fehlt es ihr gewiss nicht – auch wenn sie mit einigen politischen Entscheidungen wie etwa Abschaffung des Landesblindengeldes und Kontroversen um Krippenplätze in der Bevölkerung auf wenig Gegenliebe stieß.

Aber alle für sie sprechende Argumente zählten wohl bei der Kandidatenauswahl nicht. Da hieß es zum einen, Frau von der Leyen sei – ebenso wie die Bundeskanzlerin - evangelisch – zwei Damen mit gleicher Konfession, das sei unausgewogen. Es hieß, Frau von der Leyern sei für das Bundespräsidentenamt nicht eloquent genug. Also reden, reden kann sie wirklich und ihre Ansichten haben durchaus auch inhaltlich und sachlich Hand und Fuß. Und dann noch das Argument, sie müsse in ihrem Arbeitsministerium noch wichtige Dinge zielführend bearbeiten ... Hier mag die Frage erlaubt sein: haben etwa die anderen männlichen Kandidaten keine wichtigen Projekte und Vorhaben zu erledigen, so dass sie ganz einfach mal ins höchste Amt in Deutschland wechseln können, eben weil sonst nichts zu tun ist? Vielleicht liegt es aber auch nur daran, dass es die männliche Eitelkeit nicht zulässt, sich gleich zwei Spitzenpolitikerinnen unterordnen zu müssen, wenn sie sich schon nicht einordnen ... Nun ja, Sankt Spekulatius hat wieder einmal Hochkonjunktur!

Schlußendlich: der Bundesrepublik Deutschland hätte es doch wirklich gut zu Gesicht gestanden, als weltweit erste Nation überhaupt, mit einer weiblichen Doppelspitze auf zuwarten. Selbstverständlich, fortschrittlich und beispielgebend! Ein Trost bleibt: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben - keineswegs!
Brigitte Karch